Das ist neu an der Prozessorientierung im Vertrieb

Was bedeutet Prozessorientierung?

Prozessorientierung hat, nachdem sie – ausgehend von der Produktion – in vielen anderen Bereichen der Verwaltung von Industrie- und Handelsunternehmen als Wundermittel der Effizienzsteigerung und Kostensenkung eingeführt wurde, nun auch vor dem Verkauf nicht halt gemacht. Die Strukturierung der Arbeitsabläufe und Informationsflüsse soll nach vorher festgesetzten Regeln und Arbeitsschritten (Prozessen) in einheitlicher Form erfolgen, ein Abweichen ist unerwünscht, wenn nicht unmöglich. Entsprechende unterstützende EDV Systeme (CAS, CRM) werden eingesetzt um die Verkaufsprozesse zu unterstützen oder sogar zu automatisieren. Die Analogie zu großen Buchhaltungssystemen ist unübersehbar.

Da aber Prozessorientierung, die die unverzichtbare Grundlage für derartige EDV Systeme darstellt, ein komplettes Umdenken, andere Verhaltensweisen und auch andere Qualifikationen von Verkaufsmitarbeitern erfordert, will ich in diesem Artikel die Unterschiede zu dem wie das Verkaufen früher einmal funktionierte, aufzeigen.

Prozessorientierung gegen Zielorientierung – alt gegen neu?

Was nun unterscheidet Prozessorientierung von der klassischen Art den Verkauf zu steuern? Lassen wir daher einmal Revue passieren, wie Verkauf noch vor wenigen Jahren (und in so manchen Unternehmen heute noch) funktioniert:

Charismatische Verkäufer mit guten Kommunikationsfähigkeiten, ausgestattet mit einem Jahresziel und Verkaufsunterlagen, blieben sich vorwiegend selbst überlassen bei der Auswahl der zu akquirierenden Kunden, ihrer Zeit- und Ressourceneinteilung und der Verkaufs-Argumentation. Mit Fleiß, Überzeugungskraft und einigen Glück gelangen Abschlüsse. Die Spreizung zwischen den sehr erfolgreichen „Helden des Verkaufs“ und den nicht erfolgreichen „Losern“ war sehr groß. Jeder Verkäufer arbeitete so gut er konnte; aggressive Lohnanreizsysteme haben den Mangel an Steuerbarkeit und Führung ausgeglichen. Im besten Fall wurde das Ziel auf kurzem Wege erreicht, im schlechtesten Fall über viele Umwege (oder gar nicht), was betriebswirtschaftlich gesehen einem inadäquaten Ressourceneinsatz entspricht.

Diese Form der Verkaufssteuerung wollen wir mit dem Begriff „Zielorientierung“ bezeichnen. Immer das Ziel vor Augen, ist der Weg nicht vorgegeben.

Im Allgemeinen war die Job-Zufriedenheit der Verkaufsmitarbeiter sehr hoch, häufig signifikant höher als bei Mitarbeitern in andern Bereichen der Unternehmung. Die wenig Erfolgreichen wanderten wieder in andere Berufsfelder ab, die Erfolgreichen arbeiteten an ihrem Nimbus der Unverletzlichkeit, Unersetzbarkeit und Nicht-Steuerbarkeit.

Jeder Eingriff in den Verkauf durch das Management, insbesondere eine Änderung von Verkäufern-Kunden Zuordnungen galt als kontraproduktiv, da dadurch die Kundenbeziehungen und das Kunden Knowhow geschwächt werden könnten. Das hat den Verkauf vor Kostensenkungsmaßnahmen oder Maßnahmen zur Effizienzsteigerung gut geschützt.

Was ist Prozessorientierung? Und warum funktioniert sie im Verkauf?

Unter Prozessorientierung mag man das Einhalten vorgegebener Regeln und Prozesse verstehen, die vorgeplant und ausgetestet sind und von denen die Annahme besteht, dass sie mit hoher Sicherheit zum Ziel führen. Prozessorientierung erfordert daher immer eine genaue Kenntnis der Umwelt und aller möglichen Vorgehensweisen zur Zielerreichung, um den optimalen Weg auswählen zu können. Ein klarer Zusammenhang von Ursache und Wirkung der einzelnen Verkaufsinstrumente muss gegeben sein. Etwaige Sportgrößen müssen vorweggenommen und ihre Umgehung in alternativen Prozessen (Verzweigungen) eingeplant werden. Die strenge Einhaltung der Prozesse soll ja automatisch – geradezu „blindlings“ – zum Ziel führen.

Zwangsweise geht mit Prozessorientierung auch ein intensives Prozess-Controlling und Prozess-Management einher. Denken wir nur an die zahlreichen Prüf- und Steuerungsmechanismen bei einer Produktion, die sicherstellen sollen, dass am Ende auch das herauskommt, was am Anfang geplant war.

Jetzt ist aber Verkauf keine Disziplin der Ingenieurswissenschaften, sondern von zahlreichen Faktoren der Psychologie und Soziologie abhängig. Ungeachtet dessen, lassen sich im Verkauf gewisse Wirkungsbeziehungen aufstellen, da natürlich niemals mit 100% Sicherheit auftreten, sondern immer mit (oft wesentlich) kleineren Wahrscheinlichkeiten. So ist z.B. der Prozentsatz neu gewonnener Kunden aus der Gesamtheit der bearbeiteten Potential-Kunden für ausgewählte Markt-Produkt-kombinationen relativ konstant, und das nahezu unabhängig vom Geschick des Verkäufers.

Das verleitet zu der Annahme, dass es so etwas wie eindeutige Wirkungszusammenhänge gibt, eben versehen mit Wahrscheinlichkeiten. In der großen Zahl (viele Kunden) nähert sich die Wahrscheinlichkeit einem fixen Wert und die Streuung verringert sich deutlich. „Wenn Du soundso vielen Kunden ein Angebot machst, wirst Du bei x% erfolgreich sein, und zwar unabhängig von Deinem Charisma und Überzeugungsgabe.“ Damit steht der Weg zur Prozessorientierung im Verkauf offen.

Vorteile der Prozessorientierung

Ist der Wirkungszusammenhang zwischen bestimmten Verkaufsinstrumenten (z.B. Außendienstbesuchen) und dem Verkaufserfolg erwiesen, so ist sicher eine einheitliche und konsequente Anwendung dieses Zusammenhanges durch alle Verkäufer in der gleichen Weise besser, als jeder ist sich darin überlassen, den besten Weg zu finden. Damit ist sichergestellt, dass der erprobte Weg beschritten wird, unabhängig vom Geschick der einzelnen Person. So können auch mäßig begabte Verkäufer durch konsequentes Abarbeiten der vorgegebenen Prozesse durchwegs erfolgreich sein. Damit hebt sich insgesamt das „Produktivitäts-Niveau“ des Verkaufs.

Gleichzeitig wird ethisch korrektes Verhalten der Verkäufer sichergestellt, was in Zeiten von Business Ethics und Corporate Social Responsibility (CSR) bedeutungsvoll sein kann.

Konsequenzen für das Verkaufs-Management

Prozessorientierung erfordert ein engmaschiges Überwachen der Verkaufsprozesse durch Sales-Controlling Maßnahmen und ein kurzfristiges Eingreifen der Führung bei Abweichungen. Dieses kontinuierliche „Überwachen-Eingreifen“ durch Verkaufsleiter erfordert ein gänzlich anderes Personalmanagement als klassische Zielorientierung. Zum einen erfordert es ein Berichtswesen und eine Zahlenbasis, um den Fortgang der Prozesse (und etwaige Abweichungen) erkennen zu können. Zum anderen eine relativ häufige Interaktion mit dem Mitarbeiter (sog. Coaching). Beides war so früher nicht erforderlich. Der Verkaufsmanager, der früher auch noch große Kunden selbst betreut hat, wird zum Verkaufs Coach, dessen Zeit vollends durch Controlling und Mitarbeitergespräche ausgefüllt ist.

Zielsetzung bei Prozessorientierung

Konsequenter Weise müssen die Zielvorgaben an Verkäufer weg von reinen Umsatz-/Mengen-/Ertragszielen (Outputzielen) zu „Prozess‑Input‑Zielen“ verändert werden. Wenn man davon überzeugt ist, dass der Erfolg bei konsequenter Anwendung der Prozesse in der geplanten Häufigkeit sich wie von selbst einstellt, dann macht es keinen Sinn Umsatzvorgaben zu machen, sondern es müssen Vorgaben zu dem „WAS/WIE oft/bei WELCHEM Kunden“ gemacht werden. Voraussetzung ist daher eine Festlegung von Prioritäten bei Kunden und Potentialkunden sowie eine Vorgabe WAS und WIE OFT dort durchgeführt werden soll. Lohnanreizsysteme müssen die Einhaltung dieser Vorgaben und nicht den erzielten Erfolg belohnen. Eine gleichzeitige Zielsetzung in Richtung Umsatz-/Ertrags-erreichung und in Richtung Prozessziele ist mehr als problematisch und selbst mit einer Balanced Scorecard kaum darstellbar.

Auswirkungen auf Arbeitsweise, Kompetenzen und Motivation der Verkaufsmitarbeiter

Währenddessen bei der Zielorientierung der Verkaufsmitarbeiter sehr frei ist in der Entscheidung welche Kunden er bearbeitet, mit welchen Mitteln und wie oft, so ist ihm das nun genau vorgegeben. Darüber hinaus entsteht eine nicht unerhebliche Planung- Dokumentations- und Berichtspflicht, die den Mitarbeiter zu längerdauernden Eingaben am PC in eine Datenbank zwingt. Das bedeutet einerseits, dass die Vorbereitungs- und Nachbereitungszeiten steigen und die netto Kundenbearbeitungszeit sinken wird. Andererseits ist, da üblicherweise Verkäufer ihre Motivation aus der relativen Freiheit und Unabhängigkeit beziehen, ein derartiges konsequentes Abarbeiten von Vorgaben zumeist entgegen ihren Berufsvorstellungen. Die lange am Computer verbrachte Zeit ist ebenso für kommunikationsorientierte Menschen demotivierend. Die Angst, sein Wissen niederzulegen und damit leichter ersetzbar zu werden, wiegt auch oft schwer.

So wird es schwer – wenn überhaupt – möglich sein mit der bestehenden Mannschaft von Zielorientierung auf strenge Prozessorientierung umzusteigen; jedenfalls sind intensive Change Management Maßnahmen erforderlich. Zumeist wird der Nutzen vom einzelnen Verkäufer nicht gesehen, da er ja bislang auch so erfolgreich war. Eher wird der Nutzen für die Führung vermutet, die ja nun viel mehr Einblick hat und laufend steuernd eingreift.

Andererseits wird auch sehr viel Erfolgsdruck und Versagensangst vom Mitarbeiter genommen. Die Verantwortung wird stärker auf die Führung und den von ihr verordneten Prozess geschoben.

Grenzen der Anwendbarkeit von Prozessorientierung

Da grundsätzlich Prozessorientierung eine bekannte und planbare Umwelt voraussetzt, ist sie nur bei „stabilen Verhältnissen“ einsetzbar. Das bedeutet, dass z.B. in Phasen des Markteintritts oder in Krisen ein höheres Maß an Improvisation möglich sein muss. Das heißt aber nicht, dass es für derartige Situationen keine Regeln gibt, es gibt nur weniger Prozessvorgaben.

Ein anderer limitierender Faktor kann die Bereitschaft der Mitarbeiter sein, sich streng an Prozesse zu halten und der Planung- und Dokumentationspflicht nachzukommen.

Schließlich kann die mangelnde Bereitschaft der Führung den Controlling Aktivitäten nachzukommen und das Mitarbeiter-Coaching zeitnah durchzuführen Prozessorientierung unmöglich machen.

Zusammenfassung

Prozessorientierung – eine Denkweise aus der Produktion – lässt sich auch auf den Verkauf sinnvoll anwenden. Der Nutzen durch Steigerung der Produktivität im Verkauf bei gleichzeitiger Sicherstellung ethischer Verhaltensweisen ist unübersehbar. Eine bessere Datenbasis und laufende Eingriffsmöglichkeiten erlauben eine bessere Steuerung und Optimierung der Verkaufsaktivitäten. Dabei gilt es aber zu beachten, dass sich die Arbeitsweise sowohl der Verkaufsmitarbeiter als auch der Führung substanziell von der klassischen Zielorientierung unterscheidet. Die Auswirkungen auf Zeitbudgets und Motivation der Verkäufer sind signifikant. Grenzen des Einsatzes liegen entweder in einer nicht planbaren Umwelt oder in der Unfähigkeit der Mitarbeiter oder der Führung die Notwendigkeiten der neuen Strategie zu akzeptieren.

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