Eine über mehrere Jahre durchgeführte Studie der ehemaligen Miller Heiman Group (heute Korn Ferry) identifizierte nur ca. 7% der 1300 teilnehmenden Unternehmen im Vertrieb als „World Class“. Warum schafft es der Rest nicht, in diese Liga aufzusteigen? Der Weg ist bekannt, was hindert 93% der Unternehmen daran, ihn zu beschreiten? Sicher haben sie auch gute Leute und gute Ideen.
Häufig ist eine geringe Veränderungsbereitschaft in den Vertriebsteams zu beobachten, insbesondere dann, wenn steigende Umsätze in wirtschaftlich guten Zeiten über alle Sünden hinwegtäuschen. Aber um „World Class“ zu werden, braucht es einen Veränderungsprozess, der Tabus bricht, alte Mantras über Bord wirft und heilige Kühe schlachtet. Das ist hart, aber erfolgreich!
Prioritäten neu bewerten
Häufig findet man zum Beispiel die heilige Kuh der „wichtigsten Kunden“. Kunden mit hohem Umsatz werden hofiert und gehätschelt, aus Angst, sie zu verlieren. Versucht man aber auch nur ansatzweise, diesen Kunden die durch sie verursachten Sonderkosten zuzuordnen, stellt sich oft heraus, dass netto netto nicht viel übrigbleibt, wenn überhaupt. Häufige Besuche von Außendienst/KAM und Geschäftsleitung, Sonderlocken im Innendienst oder technischem Service oder Zusatzaufgaben in Produktion und Logistik ergeben erhebliche Beträge auf der Kostenuhr, die zusammen mit niedrigen Preisen und extra langen Zahlungszielen die Nettodeckungsbeiträge ggfs. auffressen. Die Erfassung dieser Sonderkosten ist zwar aufwändig, aber Sie werden überrascht sein, wie sehr sich dadurch die Reihenfolge der für das Unternehmen wichtigsten Kunden verändert.
Lose Führung fördert Wildwuchs und Ineffizienz
Oder das Mantra: „Verkäufer darf man nicht stören, die wissen schon, was sie zu tun haben“. Natürlich können Verkäufer verkaufen, sonst wären sie nicht bei Ihnen angestellt, aber wie kann man sicherstellen, dass sie ihre Ressourcen optimal einsetzen? In allen anderen Unternehmensbereichen wird auf Effizienz geachtet und kein Euro und keine Arbeitsstunde verschwendet. Ein straffes Management und ein gründliches Controlling verhindern Verschwendung oder falsche Prioritäten. Das gilt natürlich auch für den Vertrieb.
Und dann gibt es neben einer hohen Effizienz auch die Effektivität der Aktivitäten. Es geht also nicht nur um „schneller – höher – weiter“, sondern auch um den „richtigen“ Weg. Und die Entscheidung darüber, was „richtig“ ist, sollte nicht einer einzelnen Person isoliert überlassen werden. Der Vertriebs-Professor Ove Jensen nannte bereits 2013 wöchentliche Pipeline- und Statusgespräche das „Prinzip der Ruhestörung und des Arbeitstaktes“.
Die Kundenbeziehung ist mehr als die Beziehung zum zuständigen Vertriebsmitarbeiter
Ein ähnliches Tabu ist, dass der Kundenbetreuer/die Kundenbetreuerin (extern wie intern) unter keinen Umständen wechseln darf. Schließlich ist die persönliche Beziehung so wichtig. Es gibt jedoch keine Berichte darüber, dass ein Kunde verloren gegangen ist, weil der zuständige Vertriebsmitarbeiter andere Aufgaben übernommen oder gekündigt hat. Im Gegenteil, es lässt sich nachweisen, dass z.B. eine Änderung der Vertriebsgebiete zu einer Verbesserung der Kundenbeziehungen bei denjenigen Kunden führt, die am Rande des alten Vertriebsgebietes angesiedelt waren und nun einen neuen Betreuer haben. Zudem sollte es immer eine Nachfolgeplanung für Schlüsselfunktionen (Regionalleiter, KAM) geben. Niemand ist unersetzlich und das Kundenwissen steckt im CRM!
Steuerung und Incentives (nicht) nur für Frontline-Verkäufer
Komplexe Leistungsangebote erfordern Teamarbeit. Der Erfolg/Misserfolg ist nicht auf einzelne Personen – z.B. nur den Außendienst – zurückzuführen, sondern auf das optimale Zusammenspiel vieler Beteiligter. Die Belohnung nach Zielerreichung ausschließlich der Außendienstmitarbeiter wird diesen Zusammenhängen nicht gerecht. Hinzu kommt, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sehr unterschiedliche Verhaltensweisen und Verkaufsmethoden an den Tag legen. Die Forschung bestätigt, dass in den meisten Fällen eine Verhaltenssteuerung sinnvoller ist als eine reine Ergebnissteuerung. Optimal ist eine Mischung aus beidem.
Allerdings müssen die als optimal erkannten und damit für alle verbindlichen Vertriebsmethoden und -prozesse trainiert und eingeübt werden. Hinzu kommt ein formalisiertes Wertversprechen, das nachweislich eine hohe Überzeugungskraft für Kunden hat. Auch eine Orientierung an der individuellen Customer Journey statt starrer „Verkaufstrichteraktivitäten“ ist hier unabdingbar. Wer Trainings und Rollenspiele als Zeitverschwendung brandmarkt, übersieht einen wichtigen Hebel.
Alte Zöpfe abschneiden
Kennen Sie das Credo, dass man einmal gewährte Preiskonditionen nicht mehr zurücknehmen kann? Ein Preis ergibt sich doch aus dem Wert der zugesagten eigenen Leistung für das Kundenunternehmen und dem „Entgegenkommen“ des Kunden, z.B. in Form zugesagter Liefermengen. Wenn diese nicht eingehalten werden, spricht doch nichts gegen eine Korrektur nach oben. Gleiches gilt für lange Zahlungsziele oder den Verzicht auf Mahnungen. Und dass Geschäfte nicht (nur) über den Preis gewonnen werden, hat sich herumgesprochen.
Fragwürdiger Ressourceneinsatz
Und das Schlimmste zum Schluss: Weil Vertriebsmitarbeiter die Kunden kennen und weil sie sowieso da sind, werden ihnen Aufgaben aufgebürdet, die mit aktivem Verkaufen wenig bis gar nichts zu tun haben. Manche Funktionen im Unternehmen haben nicht verstanden, wie teuer und entscheidend die Vertriebsmitarbeiter sind. Möglicherweise können/sollen diese Aufgaben besser und schneller von anderen Mitarbeitern erledigt werden.
Umsetzung ist der Schlüssel
Ein Grundübel liegt oft in der mangelnden Umsetzungskultur. Was nützen die besten Ideen zur Professionalisierung des Vertriebs, wenn keine Führungskraft sie vorantreibt. Eine (zu) hohe Führungsspanne oder die (verlockende) Idee, Vertriebsleiter aller Ebenen mit KAM-Aufgaben für Großkunden zu betrauen, lässt diesen keine Zeit und keinen Fokus, ihre Mitarbeiter regelmäßig (wöchentlich) zu kontaktieren und zu coachen. Aber für den notwendigen „Drive“ und das Change-Management lässt sich auch externe Hilfe holen.
Der Weg zur „World Class“ ist also hart und schmerzhaft, aber er korreliert hoch mit dem Erfolg. Wenn es so einfach wäre, hätten ihn schon mehr Unternehmen beschritten. Aber jede Reise beginnt bekanntlich mit dem ersten Schritt.
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